Das Gespräch mit Odincova im 25. Kapitel stellte Klarheit in ihren Beziehungen: beide kamen zum Schluss, dass kein gegenseitiges Gefühl zwischen ihnen entstehen würde. Bazarow versuchte sie beide zu überzeugen, dass er „давноопомнилсяинадеется, чтодругиезабылиегоглупости“. Die Entschuldigungen von Odincova stimmten mit denen von Bazarow überein. Das Gesagte schien aber nicht allzu überzeugend zu sein, selbst der Autor glaubte nicht dem, was seine Helden aussprachen. Wie ein Psychologe verstand Turgenev, dass die Logik von menschlichen Sympathien sehr kompliziert ist und den Äußerungen von den Menschen sehr selten entspricht. Zweideutig kommentierte er das Gespräch von Bazarow und Odincova im 25. Kapitel: „…Ониобадумали, чтоговорилиправду. Была ли правда, полная правда в их словах? Они сами этого не знали, а автор и подавно”.
In den letzten Kapiteln gelang es Bazarow nicht, sein Wutgefühl, die Verwirrung und seine Bitterkeit zu überwinden, sie begleiteten ihn bis zum Ende des Romans. Seine Worte zu Odincova im 27. Kapitel – „Дуньтенаумирающуюлампаду, ипустьонапогаснет…“ – klangen wie ein letzter romantischer Akkord. Damit hat Turgenev seine Idee verwirklicht – Bazarow musste vor der Liebe, der verhassten Romantik und vor dem allmächtigen Leben resignieren.
Der Forscher Iv. Ivanov analysierte das Sujet von „Väter und Söhne“ und schrieb: „Нигилизмнашелсвоюсудьбутамже, гдеигегелианство: уногженщины“.[19] In allen bisher stattgefundenen Konflikten erhielt Bazarow den Sieg, er beeindruckte den Leser mit seinem brillanten Verstand und seiner Logik, in der praktischen Tätigkeit zeigte er sich als ein intelligenter und belehrter Wissenschaftler. Das Pech in der Liebe allerdings stürzte ihn von seinem Thron. Damit bewies Turgenev, dass die unglückliche Liebe sogar einen solchen "Giganten" wie Bazarow niederschlagen kann.
Unter den philosophischen Problemen, mit denen sich Turgenev im Laufe des Schaffens seiner Werke beschäftigte, war das Thema der menschlichen Bedeutungslosigkeit (мысльочеловеческомничтожестве). Das Ende von „Otcy i deti“ (der letzter Absatz), der mehrere Deutungen hat, spricht diese Frage in gewisser Weise an. IneinemResümeeandenRomanschriebHerzen: „Реквием на конце – с дальним апрошем на бессмертие души – хорош, но опасен, ты эдак не дай стреча в мистицизм“.[20]Auf diese Bemerkung antwortete Turgenev in seinem Brief, dass er „вмистицизмнеударилсяинебудетударяться“. Tatsächlich hat das Ende vom Roman sehr wenig Gemeinsames mit dem Mystizismus. Die Frage von der Existenz Gottes war für Turgenev noch in den Zeiten seiner Bekanntschaft mit Belinski negativ gelöst worden. In der Zeit des Schaffens von „Otcy i deti“ versuchte er eine Mittelstellung zwischen Atheismus und Religion anzunehmen, was ihm allerdings nicht bedeutend gelang. Im Epilog des Romans sprach der Autor das Thema „овечномпримиренииижизнибесконечной“ an, das tief mit dem Motiv von „грешном, бунтующемсердце“ von Bazarow verbunden war. Von daher konnte abgeleitet werden, dass diese „примирение“ und „жизньбесконечная“ Bazarow versprochen wurden. Da Turgenev Mystizismus ablehnte, bezogen die Kritiker den zweideutigen Sinn vom Romanepilog auf einen persönlichen Zweifel Turgenevs in mehreren philosophischen Überzeugungen in der Zeit des Schaffens. Der Epilog stellt eine künstlerisch gelöste, philosophische Synthese mancher ästhetischen Fragen dar, die Turgenev beschäftigt haben.
Die Tatsache, dass die Natur allmächtig und ewig sei, ist seit langer Zeit festgestellt worden. Die Gedanken und die Gefühle eines Menschen sind auch ewig, sie kehren immer wieder in den neuen Menschen zurück. Das Auftreten von dem beliebten Ausdruck Turgenevs „равнодушнаяприрода“ war deswegen im Romanepilog völlig berechtigt. Eine philosophisch-elegische, sogar pantheistische Stimmung des Epilogs, die keinesfalls als religiös oder mystisch betrachtet werden kann, ist dadurch gewonnen worden.
In einem Artikel von M. K. Azadovski „Ободномсюжетномсовпадении („Смертьаттеиста“ вроманеОмулевского)“[21] gab es folgenden Kommentar zu dem Romanende von „Otcy i deti“: „Раскаившийсяипримирившийсяс „небом“ передсмертьюатеист – былаоднаизпопулярнейшихтемнетолькоупредставителейреакционногокрыла (…)“. In Turgenevs Roman allerdings befand sich Bazarow weit von den Gedanken über „раскаяние“ und „примиренииснебом“. Als ein überzeugter Atheist, sogar vor dem Sterben lehnte Bazarow „просьбуотцапричаститься“ ab. Aus dem Verhalten von Bazarow in Bezug auf die Religion lässt sich schließen, dass der Autor mit sehr deutlichen Strichen das Bild eines folgsamen Atheisten darstellte. Das Ablehnen von Religion durch die nichtadelige Generation der 60er Jahre war durch ihre Theorie der Verneinung von allen existierten Normen geprägt worden, was sich auch in Bazarows Charakter wiederspiegelte.
Das Thema „человеческогоничтожества“ war eins der führenden Probleme der atheistischen Theorie. In den Äußerungen von Bazarow im Laufe des Romans ist dieses Thema deutlich zu spüren. (Kapitel 21.: „(…) они вот, мои родители то есть, заняты и не беспокоятся о собственном ничтожестве, оно им не смердит (…)“, Kapitel 22.: „Узенькое местечко, которое я занимаю, до того крохотно в сравнении с остальным пространством, где меня нет и где дела до меня нет; и часть времени, которую мне удаётся прожить, так ничтожна перед вечностию (…).“). Diese Überlegungen haben mit der Abschätzung vom menschlichen Leben und der Verachtung von Menschen selbst wenig gemeinsam. Sie beziehen sich größtenteils auf die bedeutsamen Themen „Mensch und Natur“ und „Mensch und Ewigkeit“ und spiegeln die Gedanken einer denkenden und intellektuellen Person wider. Turgenev wollte in seinem Roman einen Menschen darstellen, der alles bis auf den Verstand bezweifelt und keine Macht von den anderen akzeptiert, in diesem Fall - die Macht einer zu ihm gleichgültigen „Gottheit“ – der Natur. Bazarow protestierte gegen die Urgesetze der Natur. Er fühlte sich wie ein kleines Atom, „песчинка“ oder „червякраздавленный“ und wollte sich mit seiner mickrigen Lage nicht abfinden.
Die Überlegungen von Bazarow über die Themen von Leben und Tod, von der Ewigkeit und der menschlichen Bedeutungslosigkeit stehen den Ansichten von Turgenev sehr nah. NachderMeinungvonB. Paskal, einenbedeutendenfranzösischenPhilosophen: „мысли о собственном ничтожестве – признак величия человека (…), ибо людей, обострённо чутко реагирующих на коренное противоречие между человеком и природой, считают величайшими из нас.“[22]Mit diesem Gedanken wurde eine der Grundlagen der Konzeption von Bazarows Charakter erläutert. Paskals Aussage gleicht auch mehreren Hinweisen von Turgenev selbst in Bezug auf Bazarow: der Autor meinte, dass Bazarows Persönlichkeit „выходитдалекозапределыобычнойчеловеческойположительнойнормы“.[23] Daher folgt, dass die Gabe eines Menschen, eigene Nichtigkeit anzuerkennen, unablässig seine Großartigkeit und Majestät beweist.
Der Tod von Bazarow stellte Turgenev bitter und edelmutig dar. Sein Tod war unabwendbar und Bazarow wusste es. Er kam so unerwartet, zufällig und unsinnig und er war durch einen nichtigen Grund bedingt worden. Bazarow starb allerdings nicht beim Vollenden einer großen Tat oder beim Kampf – in seinem Fall hat eine kleine Schnittwunde ausgereicht, um einen Menschen mit starkem Verstand und Willen umzubringen. Der Tod von Bazarow ist im Roman allgemein als Tod eines Menschen dargestellt worden. Damit äußerte Turgenev den Gedanken, dass das Leben eines Menschen jederzeit der Macht der allmächtigen Naturkraft unterstellt ist. Diese „gleichgültige“ Naturkraft kann jeden Moment ohne starke Anstrengung zerstören.
Über das Konzept vom Bazarows Tod schrieb B. Paskal folgendes: „Незачемцелойвселеннойополчаться, чтобыраздавитьего [человека]. Пара, капли воды достаточно, чтобы его умертвить. Но если бы даже вселенная раздавила его, человек был бы ещё более благороден, чем то, что его убивает; потому что он знает, что он умирает; а вселенная ничего не знает о том преимуществе, которое она имеет над ним”.[24]
Mit Bazarow als Prototyp des Nihilisten machte Turgenev in „Väter und Söhne“ nicht nur den Begriff Nihilismus zum Schlagwort für eine politisch-soziale Bewegung, er zeichnete auch ein Porträt der jungen Generation. In einer hohen künstlerischen Form lieferte der Autor die Beschreibung des Konflikts, den die junge Generation mit der Generation der 40er Jahre austrug. Eine detaillierte Analyse des Charakter Bazarow in dieser Arbeit hat sowie seine ideologische Ansichten, als auch die Grundzüge seiner Persönlichkeit erläutert. In seiner vielseitigen Darstellung vom Autor verweist Bazarows intelligente Persönlichkeit auf seine epochale Bedeutung für russische Gesellschaft. Die durgeführte Analyse von Bazarows Charakter lässt sich schließen, dass Bazarow – keine Illustration zur einen bestimmten politischen These, sondern ein vollständiger künstlerisch dargestellte Charakter sei.
A. V. Lunačarskij schrieb in seinem Artikel über den Roman „Väter und Söhne“ „какободномизцентральныхявленийвовсейрусскойжизни“. ErbetrachteteBazarowalseinen „положительным типом деятеля“, „первой в русской литературе личностью, перед которой каждый чувствует уважение“. LunačarskijbestimmtedieBedeutungvonTurgenevsRomanfolgenderweise: „И сейчас, несмотря на то, что мы не похожи на людей тогдашнего времени, „Отцы и дети“– ещё живой роман, и все споры, которые вокруг него велись, находят известный отклик в наших душах“.[25]
1. Батюто, Александр: Тургенев-Романист. Ленинград, Наука, 1972
2. „Вопросы литературы”. Журнал критики и литературоведения. № 8. Москва, 1961
3. Достоевский, Фёдор Михайлович: Собрание сочинений в 10 томах. T. 4. Гослитиздат, Москва, 1956
4. Henning, Оtto: Nietzsche-Handbuch: Leben–Werk–Wirkung. Metzler Verlag, Stuttgart/Weimar, 2000.
5. Иванов, Илья: И. С. Тургенев, Жизнь. Личность. Творчество. Нежин, 1914
6. Ирсетская, Лариса: И. С. Тургенев и Н. И. Надеждин о нигилизме. In: “Тургеневский Сборник”. Выпуск 1. Русский Путь, Москва, 1998
7. Луначарский, Анатолий Васильевич: Статьи о литературе. Литература 60-х годов. Гослитиздат, Москва, 1957
8. Никольский, Юрий: Тургенев и Достоевский (История одной вражды). София, 1921
9. Пустовойт, Пётр: Роман Тургенева Отцы и дети. Москва, 1964
10. „Русские писатели о литературном труде“, Т. 2. ИздательствоАНСССР, Mосквa, 1955
11. Tiergen, Peter: Zum Problem des Nihilismus in I. S. Turgenevs Roman „Vater und Söhne“. In: „Welt der Slawen“. Internationale Halbjahreszeitschrift für Slavistik. Otto Sagner Verlag, 1993 Turgenjew, Iwan: Literaturkritische und publizistische Schriften. Berlin – Weimar, 1979
12. Tургеневский сборник под руководством Н. К Пиксанова. Т. 10. Издательство Огни, 1916
13. Чернышевский, Николай Гаврилович: Антропологический принцип в философии. С.-Петербург, 1960
14. http://lit.1september.ru/articlef.php (am 24.03.2008)
[1] Достоевский Ф. М., Собр. Соч. в 10 томах, т. 4, Гослитиздат Москва 1956, S. 79
[2]Пустовойт П., Роман Тургенева Отцы и дети, Москва 1964, S. 372
[3] Ирсетская Л., И. С. Тургенев и Н. И. Надеждин о нигилизме. In: Тургеневский Сборник. Выпуск 1, Москва Русский Путь 1998, S. 35
[4] Turgenjew I., Literaturkritische und publizistische Schriften, Berlin – Weimar 1979, S. 106
[5] Dr. Louis Büchner, Kraft und Stoff. Empirisch-naturphilosophische Studien. In allgemeinverständlicher Darstellung, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1858, S. 156 und 206. Rezension von Thiergen Peter, Zum Problem des Nihilismus in I. S. Turgenev’s Roman „Väter und Söhne“. In: Welt der Slawen, 1993, Band 38, S. 345-346
[6]ПустовойтП., РоманИ. С. Тургенева “Oтцыидети”, S. 373
[7] Никольский Ю., Тургенев и Достоевский (История одной вражды), София 1921, S.23
[8]Tургеневский сборник под руководством Н. К Пиксанова. Т. 10, Издательство Огни 1916, S. 346
[9]„Русские писатели о литературном труде“. Т. 2, Издательство АН СССР, Mосквa 1955, S. 753
[10]Чернов Н. М., Oб одном знакомстве И. С. Тургенева. In: Вопросы литературы, 1961, N° 8, S.56
[11]Пустовойт, S. 378
[12] Carl Vogt, Physiologische Briefe für Gebildete aller Stände, 2. vermehrte u. verbesserte Aufl., S. 11. Bei: Thiergen P., Zum Problem des Nihilismus in Turgenevs Roman „Väter und Söhne“, Welt der Slawen 1993, S. 350
[13] Friedrich Wilhelm Nietzsche, Ecce Homo, Warum ich so klug bin, 1. Abschnitt. Bei: Henning O., Nietzsche-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Metzler, Stuttgart/Weimar 2000, S. 224